Philosophie
 

Das kommunikative Design

1. Erste Definition von Kunst

1.1 Ein kommunikativer Ansatz

Kunst ist in erster Linie Darstellung. Dargestellt wird Realität; da Realitätswahrnehmung immer subjektiv ist, handelt sich also um subjektive Realitäten bzw. bestimmte Perspektiven, aus denen heraus eine bestimmte Realität erkannt und von Künstler dargestellt wird. Wer also Kunst macht, versucht etwas auszudrücken.

Warum macht man aber Kunst? Warum Kunst als Ausdrucksform?
Zum einen versucht man etwas darzustellen, weil es sich nicht einfach sagen lässt bzw. nicht ohne Weiteres gezeigt werden kann. Es geht also um die Ausdrückbarkeit bzw. Darstellbarkeit von Dingen überhaupt, wie Emotionen, Einstellungen, Ansichten, Problemen der Zeit und das Aufzeigen von Sachverhalten und Missständen im einen oder anderen Lichte, also die Darstellung bestimmter Perspektiven.
Der Mensch stellt etwas dar, um eines von zwei Dingen zu erreichen: Erstens, wenn er für sich selbst die Darstellbarkeit unter Beweis stellen will, also seine Gedanken und Emotionen in die Darstellung kanalisiert und gegebenenfalls zeitlich festhalten will, oder um die Darstellung anderen zur Perzeption zugänglich zu machen und damit seine Perspektive auf einen Teil der Realität vermittelt. Diese beiden Motive verschmelzen sehr häufig, wie wir noch sehen werden.
Es geht also zum einen um eine Herausforderung und zum anderen um den Willen der Kommunikation über ein gedankliches Konzept. Ausgangspunkt dabei ist immer der genuine (also neuartige) subjektive Eindruck bzw. die noch nie dagewesene oder subjektive als wichtig empfundene Impression oder Erkenntnis, die vermittelt werden soll.
Zur Kommunikation bedarf es eines Mediums. Ein Medium hat eine innere Struktur und es besteht aus dem materiellen Träger. Es übermittelt auf einem gewissen Kanal und auf diesem wiederum setzt ein Zeichensystem auf. Bei einem Gedicht als lyrischer Ausdruck bzw. Kunstform sähe das zum Beispiel so aus: Das Buch oder bloße Blatt Papier ist ein materieller Träger, der etwas auf dem optischen Kanal mit dem Zeichen der Schriftsprache übermittelt. Nun wird man schnell feststellen, dass nicht alle Informationen auf ein und demselben Weg übermittelt werden können. Wenn man jemanden den Geschmack von Sushi vermitteln will, dann muss man ihn schon kosten lassen. Ein Bild oder ein beschreibender Text tut es dabei nicht.
Letztlich kann man also sagen, dass Inhalt und Medium untrennbar verwachsen sind und nur so eine (authentische) Aussage transportieren. Am Ende wird deutlich, dass jene Aussagen, die von metaphysischer Relevanz sind, ein maßgeschneidertes Medium brauchen. Dieses Medium ist das Kunstwerk.
Angenommen es gebe gar kein Sushi, aber die Vorstellung und die Impression des Geschmacks, dann müsste man das Sushi erfinden (quasi als Werk) um den Eindruck letztlich darzustellen. Genau dieses Suchen nach dem richtigen, den gesamten Inhalt der Idee transportierenden Medium, ist der hauptsächliche Schaffensprozess des Künstlers, wobei die Suche bei der konkreten Umsetzung, also der Materialisierung des Werkes, nicht abgeschlossen sein muss (siehe assoziative Formfindung). Aus einer weiteren Perspektive könnte man sagen, Kunst wird nur im kommunikativen Prozess benötigt, weil es nicht für alle denkbaren und fühlbaren Aussagen ein klares Medium und dazu passende Kodierungen gibt. Die Kunst begibt sich also auf die Suche nach viel fundamentaleren Möglichkeiten der Kommunikation, in Richtung abstrakter anthropologischer Symbole.
Warum diese vielen, viel zu langen Worte? Ziel meiner Auseinandersetzung mit diesem Thema ist ein moderner und greifbarer Kunstbegriff, der einerseits offen und variabel ist und andererseits möglichst klare Grenzen zieht, so dass man am Ende sagen kann: „Nein, Tischdeckenmuster sind keine Kunst“.

Kunst ist also Darstellung von subjektiver Realität zum Selbstzweck oder zu Kommunikationszwecken. Zwei Begriffe die klar abgetrennt werden müssen, da sie häufig diffus mit dem Kunstbegriff vermengt werden, sind Handwerk und Design.
 

1.2 Abgrenzung zum Handwerk

Handwerk ist das erlernbare und erlernte individuelle Erschaffen und Formen von Gegenständen unter Anwendung von Hilfsmitteln für relative Dauer oder das Inszenieren von Abläufen für den Moment.
Handwerkliche Tätigkeit bedeutet die Materialisierung einer Vorstellung, der Platzierung von bestimmten Objekten in Raum und Zeit.

...das erlernbare und erlernte...:
Es geht also um eine bestimmte Qualifikation, die im Prinzip jeder erlernen kann. Das detailgenaue Abbilden der Natur, von konkludenter Realität, ohne aussagekräftigen Inhalt darüber hinaus ist noch keine Kunst. Es geht ja bei der Darstellung in der Kunst, ob nun als Selbstzweck oder zu Kommunikationszwecken, nicht um die Darstellung lapidarer Inhalte, die jederzeit in der realen Welt, der Umgebung der Menschen gefunden werden können und bei denen die Perspektive auf sie von nahezu allen Menschen als konsent bezeichnet werden kann, sondern um die Darstellung von Perspektiven, Vorstellungen und Konzepten, die nicht so einfach gezeigt werden können. Dinge, die dahinter stehen, die sich nicht auf den ersten Blick eröffnen, also dissente Perspektiven wie starke Emotionen oder Gesellschaftskritik.
Sicher kann man bereits am bloßen Wiedergeben existenter Objekte scheitern, wenn einem die Geduld, die Ausdauer oder das Geschick fehlt, wobei letzteres bei genügend Ausdauer stetig verbessert werden kann. Diese Feststellung ist bereits ein wichtiger Punkt, denn die Schaffung von Kunst ist kein Geduldsspiel, zumindest nicht maßgeblich, sondern es beinhaltet etwas Geniales, es vermittelt Perspektiven die neu sind, Probleme, die noch nicht oder noch nicht so erkannt worden sind. Das jedoch ist nicht erlernbar, die genialen Ideen hat man oder man hat sie eben nicht.

...individuelles Erschaffen und Formen...:
Am Ende des künstlerischen Schaffensprozesses steht nach dem Einnehmen der genuinen und dissenten Perspektive und dem Konstruieren und Erwählen des kommunikativen Designs das handwerkliche Erschaffen des Werkes. Handwerklich ist hier sehr weit gefasst, man könnte sagen, dass alles handwerklich hergestellt ist, was von Menschenhand gemacht wurde oder von Menschenhand ausgeht. In dem hier vorgestellten kommunikationstheoretischen Ansatz beherrscht man sein Handwerk, wenn man die Fähigkeit hat, alle Mittel und Wege, Ausdrucksformen und Techniken die dem erwählten Design inhärent sind, zur Schaffung des Werkes einzusetzen um den künstlerischen Ausdruck zu erzeugen.

...von Gegenständen für relative Dauer oder inszenieren von Abläufen für den Moment...
Am Ende des Schaffensprozesses muss etwas ultimativ Wahrnehmbares erzeugt worden sein. Das kann zum einen etwas Statisches sein, ein Objekt, das man anfassen und sehen kann (z. B. Bild, Skulptur) oder eben ein Ablauf, den man hören und sehen kann (z. B. Theater, Film). Das eine ist ein zwei- oder dreidimensionales Ergebnis, das andere ein vierdimensionales Ergebnis, bei dem die Zeit als 4. Dimension hinzukommt.

Wir sehen auch hier, dass die Begriffe wie Handwerk sehr gedehnt und ungewöhnlich definiert werden müssen, da sie assoziativ so stark und einseitig besetzt sind, dass wir sie zum Verständnis dieses Ansatzes aufbrechen und neu bestimmen müssen. Wenn wir an Handwerk denken, sehen wir Werkzeugkisten und stellen uns Klempner vor, wie sie Heizungsrohre montieren, oder Tischler wie sie Möbel bauen. Der Kern der Sache ist jedoch, dass Menschen bestimmte Werkzeuge benutzen, um damit Materialien zu bearbeiten und dadurch ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Ein Künstler tut in der Schaffensphase nichts anderes. Er bedient sich seiner Werkzeuge, um über ein kommunikatives Design als Medium einem Ausdruck eine wahrnehmbare Form zu verleihen. Was dem Schmied der Hammer ist, ist dem Schriftsteller nicht etwa der Stift, das wäre zu eingeschränkt und zu materiell gedacht; sein „Handwerkszeug“ ist vielmehr das Wissen über Erzähltechniken, über stilistische Mittel, über Dramaturgie und vieles mehr. Wenn man eine Geschichte liest oder im Fernsehen sieht, dann ist beispielsweise. die Spannung die erzeugt wird, die Folge gut angewandter handwerklicher Technik. Derartige Effekte, und da ist Spannung noch einer der offensichtlichsten, werden regelrecht vom Autoren konstruiert. Dort jedoch fängt die Kunst noch lange nicht an, das ist alles noch Handwerk.
 

1.3 Abgrenzung zum Design

Design setzt sich hingegen immer mit Funktionslogik auseinander. Oder anders gesagt, was muss ich wie tun um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Wie wir gesehen haben, geht es bei Kunst um Kommunikation, daher werde ich mich im Folgenden mit der Funktionslogik der Kommunikation auseinandersetzen. Speziell darauf bezogen lautet die Frage also: Was muss man tun um die genuine Idee so zu materialisieren, dass der Empfänger des Kommunikationsversuches die gemachte Aussage wahrnehmen kann?
Dabei stellt sich erstens die Frage, inwieweit sich die Idee in ein real existierendes Objekt oder einen wahrnehmbaren Ablauf verwandeln lässt, sodass es erstens in seiner Existenz wenigstens für den Augenblick der Perzeption Dritter (Empfänger der Kommunikation) stabil ist und zweitens, wie die Aussage möglichst klar (was die Funktion des Designs in unserem Falle ist) kodiert ( d.h. in allgemein verständlichen Ausdruck gebracht) werden kann, ohne dass die Funktionslogik der Materialisierung der Idee einen zu starken Konflikt zwischen dem Vorhaben der Materialisierung und der Vermittlung der Aussage erzeugt. Es entsteht also das im Prinzip unlösbare Problem, was sich in der Spannung von diffuser Symbolik der Idee und der konkreten Symbolik der materialisierten Darstellung zeigt.
Wenn man ein kommunikatives Design für ein Werk wählt, dann wird die Wahl durch diesen Konflikt bestimmt. Streng genommen gibt es keine fertigen kommunikativen Designs sondern nur Grundschemata die sich kategorisieren lassen. Der Schaffensprozess des Werkes endet mit dem massgeschneiderten Medium für die entsprechende zu artikulierende bzw. darzustellende Ausage.
Bis zu einem gewissen Grad ist hier das Problem des Gegensatzes von Strukturfunktionalismus und Funktionsstrukturalismus gegeben, nur dass man sich in der Kunst bzw. bei der Konzeption eines Werkes von beiden Seiten abwechselnd nähern kann, weil man prinzipiell anfänglich keine externen Vorgaben hat.
Ein traditionell beliebtes und lang erprobtes Design zur Darstellung von Kunst ist das Bild. Man muss sich also zunächst bei der Schaffung des Werkes fragen, welche Dimensionen das Werk braucht, wie viele Kanäle, die parallel wirken können, benötigt werden, um die Aussage zu transportieren und welche Codes, welche Zeichenketten bzw. Symboliken verwendet werden sollen.
Das Bild ist zunächst ausschließlich zweidimensional und verwendet den optischen Kanal, es ist also im Ausgangszustand eine einfarbige Fläche, die zum Zweck der Vermittlung von Symbolen und Codes kontrastiert werden kann. Sie eröffnet bestimmte Möglichkeiten, beschränkt aber gleichzeitig auch und wirkt jetzt bereits paradigmatisch. Diese Paradigmatik konstituiert zugleich die Selektivität, die die Grundlage der subjektiven Wahrnehmung, der dissenten Realität, ist und die es wert ist, mitgeteilt zu werden.
Die Wahl der Schattierungen des kommunikativen Designs und ihrer Beziehungen zueinander sind oft die Grundlage des kommunikativen Mehrwertes, ein Grundkriterium für Kunst, welche aus dem Zusammenspiel von Design, Umsetzung (Handwerk) und der Aussage entsteht.
 

2. Aufstellung von kommunikativen Designs

[...]

3. Die Rolle der Ästhetik

Eines der entscheidenden Dinge die es zu verstehen gilt, ist, dass „Schönheit“ kein Kriterium für Kunst ist, weder hinreichendes noch notwendiges. Dadurch, dass ästhetisches Empfinden extrem variiert, aufgrund persönlicher Präferenz und wohl noch stärker durch kulturelle Konditionierung. Wer persönliches Gefallen oder das Auslösen starker Emotionen durch ein Werk zum Kriterium für Kunst erhebt, der wird immer auf einem sehr persönlichen Bewertungsmaßstab verharren. Eine neutrale Kategorisierung ist dann nicht möglich, denn „über Geschmack lässt sich nicht streiten“. Ein solcher Ansatz ist zwar in einem so natürlicherweise subjektiven Feld wie der Kunst nicht illegitim, ist aber für eine Analyse zur tieferen Einsicht über das Wesen der Kunst ungeeignet. Um das Wesen der Kunst zu ermitteln, müssen externe Bezugspunkte herangezogen werden.
Unabhängig davon ist die Ästhetik eines Werkes nicht gänzlich bedeutungslos für den kommunikativen Prozess, der über das maßgeschneiderte Medium – das Werk – in Gang gesetzt wird. Ästhetik wirkt dabei als Kommunikationsmotivator. Wenn ein Werk einer großen Menge an Empfängern (Betrachtern) gefällt, werden diese sich für die Aussage wohlwollender öffnen bzw. den kommunikativen Vorgang vielleicht öfter wiederholen (öfter in das selbe Theaterstück gehen, sich eine digitale Kopie eines Meisterwerkes herunterladen und sich diese ausdrucken und ins Wohnzimmer hängen). Besonders in einer derart digital vernetzten Welt wie unserer kann sich ein Stück Information rasend schnell verbreiten, wenn die primären Empfänger es weiterreichen und zu Multiplikatoren oder Reproduzenten werden. Kommunikationsmotivation wirkt daher in gleich zweifacher Weise. Der kommunikative Vorgang wird eventuell bei einem und demselben Empfänger mehrfach wiederholt, tritt daher unter dem Wust von Eindrücken stärker hervor und bleibt im Gedächtnis, was (zweitens) die Voraussetzung dafür ist, dass der Empfänger selbst zum Sender wird und durch Anregung zur Betrachtung oder gar durch physische oder digitale Vervielfältigung (Reproduktion) zu einer Verbreitung der Aussagen beiträgt. Anders gesagt. wenn der Künstler, der Kommunikator, für den Betrachter ästhetisch arbeitet, dann hat seine Aussage im Konkurrenzkampf der Meme (der Konzepte, der Aussagen, der Ideen) bessere Chancen. Das Durchsetzungsvermögen im memetischen Evolutionsprozess ist dann größer.

Ästhetik ist aber auch ein Code, über den kommuniziert werden kann. Hinter dem Abstraktum Ästhetik versteckt sich ein Oppositionspaar: schön und hässlich. Anhand der Tatsache, dass das Adjektiv „ästhetisch“ in der Umgangssprache als Synonym für „schön“ gilt, zeigt sich, dass dieses dichotome Paar nicht gleichberechtigt zueinander steht. Beide Pole sind normativ geladen. „Schön“ ist besser als „hässlich“. Durch diesen Bewertungsmaßstab kann der Künstler bestimmte Teile des Ausdrucks in seinem kommunikativen Design hervorheben bzw. betonen. Wichtig ist dabei, sich bewusstzumachen, dass das kommunikative Design eine Aussage transportieren soll und der Künstler daher die kommunikationsmotivierenden Effekte und die aussageverstärkenden Effekte von Ästhetik gegeneinander abwägen muss. Wenn nun der kommunikationsmotivierende, also der schön empfunden Teil des Designs dabei Überhand gewinnt, beispielsweise im extrem Fall in den Bereich des Kitsches abrutscht, dann ist eine Kommunikation über das Codierungssystem der Ästhetik nicht mehr möglich, weil Kommunikation nur durch interpretierbare Codes statt finden kann. Wenn man aber bei den zwei Symbolen „schön“ und „hässlich“, digital würde man schreiben 1 und 0, nur „schön“, also nur 1, nähme, dann fehlt das kontrastierende Gegenzeichen, von denen mindestens eines benötigt wird. Mit nur Einsen und nur Schönem sind die Zeichen nivelliert, der Code der Ästhetik scheidet für den eigentlichen kommunikativen Prozess aus.
In der modernen Kunst wird das Dogma des Schönen zu kommunikativen Zwecken tatsächlich fallengelassen und das Hässliche als paradigmatischer Gegenpol gewinnt an Bedeutung. Denn ohne das „Hässliche“ und seine implizite negative Wertzuweisung würde die Wertzuweisung des Positiven bei „Schönem“ nicht mehr funktionieren.

Die Ästhetik erfüllt paradigmatische Funktion in gleich zweierlei Hinsicht. Erstens durch das schon besprochene Gegensatzpaar „schön“ und „hässlich“ und zweitens dadurch, dass lange Zeit dogmatisch und auch heute noch dominant davon ausgegangen wird, dass der Ausdruck einer Idee nur möglichst schön zu ästhetisieren sei. Erst seit der Moderne ist die Ästhetik von einem Dogma des Schönen hin zu einem bewussten Entscheidungsfeld geworden, wodurch sie überhaupt erst zu einem Code wurde.
Ein gutes Beispiel für Reduzierung der Ästhetik auf das Schöne ist die klassische Musik, in der die Komposition einer strengen Harmonielehre folgt, nach deren Regeln dann der Ausdruck zu erzeugen war. Die Verarbeitung des Themas Sturm zeigt sehr schön, wie die Elemente Wind, Regen, Donner und Blitz innerhalb des Korsetts dennoch auf vielfältige Weise verarbeitet wurden, um Sturm durch akustische Symbole darzustellen (Siehe Vivaldi: Vier Jahreszeiten, Britten: Four Sea Interludes from Peter Grimmes, Strauss: Alpensinfonie) . Trotzdem war das Korsett nie zu eng um noch einen genuinen Ausdruck vermitteln zu können. Dieses Paradigma des Schönen hat letztlich aber dazu beigetragen, dass die klassische Musik von moderneren Strömungen, welche sich aus dem Korsett lösten und breiterer Darstellungsmöglichkeiten bedienten, abgelöst wurde. Da die klassische Musik innerhalb der Schranken, die sie sich selbst auferlegt hatte die Themen der modernen Zeit und Gesellschaft nur noch bedingt darzustellen vermochte. Solange Themen wie Natur, Sagen, Märchen oder zwischenmenschliche Beziehungen auf mikrosozialer Ebene das Thema von Musik waren, waren die Ausdrucksformen ausreichend sondern sogar nahezu perfekt zugeschnitten. Aber wie hätte man mit diesen Mitteln die Spannungen der modernen und postmodernen Welt darstellen wollen? Nie dagewesenes Ausmaß von Zerstörung und Zerstörungspotential auf der einen Seite und eine nie dagewesene Dimension an Produktionskapazitäten auf der anderen Seite, internationale weltweite Vernetzung, Beschleunigung von Transport, von Informationenfluss – dies alles sind Entwicklungen die den Satz: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ wie Hohn erscheinen lassen.
Darauf musste die Kunst als Spiegel der Gesellschaft reagieren, und das tat sie, indem sie das Paradigma des Schönen in weiten Teilen fallen ließ und dem Hässlichen mehr Beachtung schenkte.
Neben der Funktion als Kommunikationsmotivator und als Codierungssystem hat die Ästhetisierung aber eine weitaus fundamentalere Funktion. Die Ästhetisierung im Sinne von Stilisierung ist von entscheidender Bedeutung für die Fokussierung auf das Wesentliche der genuinen Perspektive im Kommunikationsprozess wodurch sich ein Werk von einer bloßen Abbildung der Realität abgrenzt. Wenn man sich zum Beispiel das am häufigsten Abgebildete Motiv in der Kunst anschaut, den Menschen, dann wird er höchst selten realistisch dargestellt. Meistens ist er anders proportioniert oder reduziert. Zum Beispiel diese beiden Aspekte geben Raum für Fokussierung des Ausdrucks weit jenseits der Frage von Schön und Hässlich.
 

4. Paradigma der realistischen Darstellung

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5. Nichtkunst

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6. Authentizität versus Kontingenz

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7. Werkanalysen aus erörterter Perspektive

7.1 Affenmalerei (z.B. Congo unter Desmond Morris)

Vielen ist die Anekdote, die in Wirklichkeit keine ist, bekannt, in der Affen mit Pinseln über eine Leinwand gescheucht wurden, diese „beschmierten“ und das Produkt dann in einer Galerie ausgestellt wurde, in der es durch allerlei Worthülsen von Leuten, denen man nachsagt, sie verstünden etwas vom Thema, mit Bedeutung versehen wurde. Und „DAS“ sollte nun Kunst sein? Die Frage ist viel mehr: Was ist „DAS“? Wenn sich „DAS“ auf die kolorierten Leinwände als solche bezieht, lautet die Antwort nein. Wenn mit „DAS“ jedoch das gesamte Spektakel gemeint ist, so lautet die Antwort ja.
In Wirklichkeit wurde durch die bewusst provozierte Fehlwahrnehmung, dass die Bilder bereits die zur Betrachtung stehende Kunst seien, ein sozialplastischer Effekt ausgelöst, welcher das eigentliche Werk ausmacht. Die Bilder sind nur Objekte die den Impuls geben.
Es stellt sich jedoch zuvor die Frage warum diese Bilder selbst keine Kunst sind. Interessant ist dabei im vorhinein die Tatsache, dass auch das ungeschulte Auge mit großer Sicherheit die von Affen erzeugten Bilder von den aus Menschenhand stammenden auf den ersten Blick ähnlich gegenstandslosen Bildern zu unterscheiden weiß. Warum ist das so? Bei den Produkten der Affen wird die Konzeptlosigkeit durch das Unbewusstsein über das Format der Leinwand sichtbar. Hinzu kommt die frappierende stilistische Konstanz und die Immunität gegen jede Form- und Farblehre. Der Affe weiß nicht was er tut. Es kann daher bei halbwegs objektiver Analyse der Objekte nichts anderes vorgefunden werden als das gerade Aufgelistete. Aber ohne einen Code, der auf dem kommunikativen Design des Bildes aufsitzt, ist Kommunikation ausgeschlossen. Bestenfalls bleibt dem Betrachter die Möglichkeit wilder, arbiträrer Attributionen. Der Code jedoch wurde in diesem Fall vom wahren Künstler, dem Menschen, der dieses Setting zusammengestellt hat, vorgegeben.
Unbewusstes Tun kann nicht in der gesicherten Erzeugung von Codesequenzen enden. Die Chance, also das Potential, zur Kommunikation ist von vorn herein nicht gegeben, somit handelt es sich bei den primären materiellen Objekten nicht um Kunst.
Die echte Leistung jedoch ist es, wenn man es schafft eine ganze Szene, sogar eine ganze Gesellschaft nachhaltig herauszufordern, indem man diesen materiellen Impuls setzt, nur um dann Kunstkritiker sowie sach- und fachverständiges Publikum ins Messer ihrer eigenen Überzeugungen laufen zu lassen und ihnen auf diese Weise den Spiegel vorhält. Das Beobachten zweiter Ordnung, also anzuschauen wie der Betrachter reagiert, hält das eigentliche Kunstwerk bereit. Entscheidend dabei ist, dass Sozialplatiken dieser Art immer ein singuläres Ereignis sind, bei bloßer Wiederholung würde nicht das gleiche Ergebnis zustandekommen, da der Diskurs bereits fortgeschritten ist, ein solcher Trick also höchstwahrscheinlich nur einmal in unserer medial vernetzten Welt funktioniert. Es ist aber interssanter Weise mehrmals zu ähnlichen Obskuritäten gekommen. Das beste Zeichen dafür, dass Werke dieser Art von einigen nicht einmal ansatzweise verstanden wurden, ist der Fakt, dass bei Auktionshäusern bereits fünfstellige Beträge für solche bloßen Impulsgeber bezahlt wurden. Das Werk selbst ist aufgrund seiner immateriellen Form und Flüchtigkeit nicht erwerbbar, man kann es nicht besitzen. Neben dem Nichtverstehen dieser Tatsache bietet sich noch eine zweite Möglichkeit der Erklärung an und zwar Trotz! Frei nach dem Motto: Wir lassen uns doch von so einem billigen Trick nicht unsere Deutungsmacht entreißen! Diese Haltung wurde im Kapitel "Authentizität und Kontingenz" näher besprochen.